Beinaheunfall: Pflichten, Meldung und Analyse
- Was ist ein Beinaheunfall?
- Welche gesetzlichen Vorgaben müssen bei Beinaheunfällen beachtet werden?
- Besteht eine Pflicht zur Meldung von Beinaheunfällen?
- Warum ist die betriebsinterne Meldung und Analyse von Beinaheunfällen empfehlenswert?
- Was ist die Unfallpyramide bei Beinaheunfällen?
- Wie erhöhen Sie die Meldebereitschaft von Beinaheunfällen im Betrieb?
Was ist ein Beinaheunfall?
Ein Beinaheunfall am Arbeitsplatz kann als ein gefährliches Ereignis im beruflichen Umfeld definiert werden, durch das kein Schadenfall in Form eines Arbeitsunfalls entstanden ist. Bei einem Beinaheunfall kommt es also nicht zu einem Schadenereignis oder einer Verletzung. Aus Präventionsgründen ist es sinnvoll, den Unfallhergang, die Gefährdungslage, ein potenziell unsicherer Zustand, ein mögliches sicherheitswidriges Verhalten und die Umstände der Situation intern im Detail zu untersuchen, um aus dem Ereignis Schlüsse zu ziehen und die Gefahr zu minimieren oder abzustellen.
Welche gesetzlichen Vorgaben müssen bei Beinaheunfällen beachtet werden?
Der § 16 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) geht im Detail auf die Unterstützungspflichten von Arbeitnehmern in Bezug auf Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit ein. Im Unterpunkt 1 des ArbSchG heißt es explizit:
„Die Beschäftigten haben dem Arbeitgeber oder dem zuständigen Vorgesetzten jede von ihnen festgestellte unmittelbare erhebliche Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit sowie jeden an den Schutzsystemen festgestellten Defekt unverzüglich zu melden.“
Haben Mitarbeiter Kenntnis von einer gefährlichen Situation im Unternehmen, sind sie verpflichtet, den Fall dem Sicherheitsbeauftragten im Unternehmen oder der übergeordneten Führungskraft zu melden. Diese Vorgabe gilt nicht ausschließlich für Arbeitsunfälle, bei denen das Ereignis offensichtlich ist, sondern ebenfalls für Beinaheunfälle. Arbeitnehmer müssen vom Unternehmen sensibilisiert werden, alle Ereignisse und Beinaheunfälle intern zu melden.
Besteht eine Pflicht zur Meldung von Beinaheunfällen?
Der § 16 des ArbSchG legt nahe, dass Beinaheunfälle betriebsintern gemeldet werden sollten. Eine Verpflichtung, derartige Unfälle ohne Folgen offiziell den Berufsgenossenschaften zu melden, ist im Gesetz nicht verankert.
Warum ist die betriebsinterne Meldung und Analyse von Beinaheunfällen empfehlenswert?
Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit sollten in jedem Unternehmen höchste Priorität haben. Gleichzeitig gehören Gefahren und Unfälle zum Leben und entstehen aufgrund einem zu geringen Sicherheitsniveau, einer gefährlichen Verhaltensweise oder sicherheitswidrigen Arbeitsweisen und Zuständen oder aufgrund von menschlichem Versagen.
Wird jeder Beinaheunfall im Unternehmen gemeldet und mit dem Ziel analysiert, zukünftige Ereignisse zu verhindern, können Arbeitsunfälle mit Konsequenzen nahezu vollständig vermieden werden. Entscheidend ist, dass jedes Ereignis nicht personenbezogen, sondern ereignisbezogen aufgearbeitet wird. Selbst wenn nicht das betriebliche Sicherheitsniveau oder unsichere Begebenheiten, sondern persönliche Fehler und eine sicherheitswidrige Verhaltensweise ursächlich für den Beinaheunfall waren, konzentriert sich eine moderne und professionelle Fehlerkultur grundsätzlich darauf, potenzielle Gefahrenquellen zu vermeiden, statt Sanktionen bei fehlerhaften Verhaltensweisen auszusprechen.
Beinaheunfälle können eine sinnvolle Grundlage sein, um mögliche Gefährdungen der Mitarbeiter zu überprüfen. Das Melden unterstützt gemäß § 16 ArbSchG den Arbeitgeber, den Betriebsarzt und die Fachkraft für Arbeitssicherheit darin, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei der Arbeit zu gewährleisten und ihre Pflichten entsprechend den behördlichen Auflagen zu erfüllen.
Es entsteht in der Folge eine offene Fehlerkultur im Unternehmen, in der jeder Mitarbeiter bereit ist, eigene oder aufgetretene Fehler und Beinaheunfälle ohne Angst vor Sanktionen zu thematisieren. Da ein Beinaheunfall als gefährliche Situation definiert werden kann, bei der zufällig kein Personen- oder Sachschaden entstanden ist, sorgt das Melden und Analysieren jedes Ereignisses für mehr Sicherheit im Betrieb.
Was ist die Unfallpyramide bei Beinaheunfällen?
Das sogenannte Heinrichs-Dreieck gilt als die bekannteste Unfallpyramide. Eine Unfallpyramide beschreibt aufeinander aufbauend, wie viele Beinaheunfälle oder Vorkommnisse ohne Verletzung zu leichten Unfällen und zu einem schweren oder tödlichen Unfall führen.
Unfallpyramide nach Heinrich
Die Unfallpyramide, die auf Untersuchungen des Sicherheitsexperten Herbert William Heinrich aus dem Jahr 1931 zurückgeht, ist wie folgt aufgebaut:
Unfallpyramide nach DuPont
Im Gegensatz zur Unfallpyramide nach Heinrich besteht die Unfallpyramide nach DuPont aus insgesamt fünf unterteilten Ereignisbereichen:
- 30.000 Fälle sicherheitswidrigen Verhaltens führen zu
- 3.000 Erste-Hilfe-Fällen,
- 300 leichten Arbeitsunfällen,
- 30 schweren Unfällen sowie
- 1 tödlichen Unfall.
Beide Unfallpyramiden und ebenfalls die Unfallpyramide nach Bird, die in der Einleitung erwähnt wurde, fokussieren sich auf eine gemeinsame Aussage.
Beinaheunfälle sind keine Bagatellereignisse, die verschwiegen werden sollten. Sicherheitswidriges Verhalten oder eine gefährliche Arbeitsweise haben grundsätzlich Auswirkungen auf die schweren und tödlichen Unfälle in einem Betrieb. Wer leichte und schwere Unfälle und Todesfälle aufgrund von Arbeitsunfällen eliminieren möchte, muss eine Fehlerkultur aufbauen, in der Beinaheunfälle thematisiert und analysiert werden. Die Verhinderung von Beinaheunfällen reduziert in diesem Fall die Wahrscheinlichkeit schwerer Arbeitsunfälle mit und ohne Todesfolge.
Wie erhöhen Sie die Meldebereitschaft von Beinaheunfällen im Betrieb?
Beinaheunfälle ereignen sich in jedem Unternehmen. Damit derartige Ereignisse von den Mitarbeitern nicht negiert und verschwiegen werden, ist es wichtig, die Meldebereitschaft aller Beschäftigten im Betrieb zu erhöhen. Dabei liegt es auf der Hand, dass Beschäftigte sich trauen Fehler, Beinaheunfälle und andere Probleme zu melden, wenn die Fehlerkultur im Unternehmen offen und lösungsorientiert aufgebaut ist und das Ziel verfolgt, den Arbeitsschutz und die Arbeitssicherheit zu erhöhen.
Die folgenden Maßnahmen und Beispiele können helfen, die Meldebereitschaft signifikant zu steigern:
- eine offene und transparente Fehlerkultur etablieren,
- Informationen statt Sanktionen bei Fehlern oder sicherheitwidrigem Verhalten,
- transparente Darstellung aller Arbeitsschutz- und Arbeitssicherheitsmaßnahmen,
- bekannte Ansprechpartner, die vertrauenswürdig sind,
- einfache Meldemöglichkeit, zum Beispiel durch Online-Formulare,
- Möglichkeit der anonymisierten Meldung von unsicheren Zuständen, Begebenheiten und Beinaheunfällen,
- regelmäßige transparente Information zu Beinaheunfällen und abgeleitete Maßnahmen.
Tipp: Die DGUV Information 206-045 kann für Unternehmen ein zielführendes Dokument sein, um Mitarbeiter zu ermuntern, Beinaheunfälle betriebsintern zu melden. Da Beinaheunfälle in vielen Fällen nicht weitergeleitet und dokumentiert werden, entsteht eine Fehlerkultur des Verschweigens im Unternehmen. Die in der DGUV-Information enthaltene Meldehilfe für Beinaheunfälle kann im Gegensatz helfen, jedes auf den ersten Blick unbedeutende Ereignis mit dem Ziel zu melden, zukünftige Arbeitsunfälle und Beinaheunfälle zu verhindern.