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Situativer Führungsstil: Die richtigen Maßnahmen, passend zur Situation

Dem einen oder anderen mag der sogenannte Begriff situativer Führungsstil bereits mehr oder minder bewusst begegnet sein. Doch wofür steht dieser Ausdruck? Jeder Vorgesetzte hat seinen ganz eigenen Führungsstil. In seinen Grundkonstanten lässt sich dieser jedoch grob kategorisieren. Klare Vorschriften, eine lockere Unternehmensführung mit vielen Freiräumen oder Transparenz und Offenheit in betriebsinternen Entscheidungen sind nur einige Charaktereigenschaften, die unterschiedliche Führungsstile kennzeichnen. Doch hin und wieder gibt es Situationen, die es erfordern, dass Führungskräfte von ihrem präferierten Führungsstil abweichen. Krisensituationen benötigen beispielsweise ein anderes Management als kreative Brainstorming-Meetings. Beim situativen Führungsstil geht der Vorgesetzte daher auf individuelle Situationen ein. Unter diesen Rahmenbedingungen gibt es keine allgemeinen Regeln und Vorgaben, da ein Chef sich immer wieder spezifisch auf die gegebenen Umstände einstellt und sein Führungsverhalten dementsprechend anpasst.
Inhaltsverzeichnis

Situativer Führungsstil: Definition und Wissenswertes

Während Führungskräfte bei einer autoritären Führung keinen Unterschied zwischen Mitarbeitern machen und auf klare Anweisungen und Regeln setzen, kommen beim situativen Führungsstil die individuellen Bedürfnisse und Kompetenzen der Angestellten mehr zum Tragen. Wird zum Beispiel ein neuer Mitarbeiter eingestellt, benötigt er eine andere Führung als ein Teammitglied, das seit Jahren mit seinen Aufgaben vertraut ist.

Ein situativer Führungsstil bedeutet also, dass Führungspersonen ihr Verhalten in jeder Situation an die jeweiligen Gegebenheiten anpassen. Berücksichtigung finden dabei zum Beispiel:

  • die Erfahrung, Bedürfnisse und Kompetenzen der Mitarbeiter
  • interpersonelle Beziehungen
  • Besonderheiten der Aufgabe
  • situative Stressoren (zum Beispiel Zeitdruck oder Mangel an Ressourcen)

Das fordert Flexibilität von den Vorgesetzten. Denn das Führungsverhalten erfolgt nicht einfach nach einem bestimmten Schema, sondern bezieht individuelle Umstände bei der Entscheidungsfindung mit ein. Erfolgreiche Unternehmensführung hat in diesem Zusammenhang mit Feingefühl und der Fähigkeit zu tun, jeden Mitarbeiter als Individuum mit seinen eigenen Stärken und Reserven anzunehmen. Daraus ergibt sich eine mitarbeiterorientiere Unternehmenskultur (Followership).

Beispiel für situationsangemessene Führung: Ein Kommandant im Gefecht muss schnell Entscheidungen treffen, die seine „untergebenen“ Soldaten direkt ausführen. Zeit, um zu diskutieren oder eigene Ideen einzubringen, ist dann nicht – dennoch ist der Führungsstil der Situation angemessen.

Im Gegensatz dazu kann der Chef einer Werbeagentur seinen gut ausgebildeten Kreativen Zeit für Brainstorming und Ideenentwicklung geben, sich mehrere Vorschläge zeigen lassen oder Input geben. Direkt auszuführende Befehle, wie sie beim Beispiel mit den Soldaten angebracht sind, würden hier nur den kreativen Fluss stören und die Motivation im Team untergraben.

Der situative Führungsstil nach Hersey und Blanchard: Aufgaben- vs. Personenorientierung

Betrachten wir die Entwicklung der situativen Unternehmensführung, treffen wir auf Paul Hersey und das Jahr 1977. Gemeinsam mit dem Professor für organisiertes Verhalten Ken Blanchard hat Hersey zwei unterschiedliche Arten der Führungsstile im Rahmen einer Kontingenztheorie herausgestellt. Die Rede ist von der Aufgabenorientierung und der Personen-/Beziehungsorientierung beim situativen Führen.

  • Aufgabenorientiert bedeutet, dass die Führungskraft deutliche, klar umrissene Anweisungen gibt und Rahmenbedingungen aufstellt. Das Ziel der Anweisungen stellt sie präzise dar und nennt auch einen Zeitpunkt, bis wann Aufgaben erledigt werden müssen.
  • Personenbezogen bzw. beziehungsorientiert bedeutet, dass der Chef den Kontakt zu seinen Mitarbeitern pflegt, motiviert, unterstützt, sie für Ergebnisse lobt und dadurch positiv bestätigt.

Beispiel: Im ersten Anwendungsfall der Theorie geht es dem Chef vermehrt um konkrete Ziele und Erwartungen, die seine Mitarbeiter erreichen sollen. In Verbindung damit steht eine Abgabefrist bzw. Deadline. Gewinnt die Beziehungsorientierung an Relevanz, liegt das Hauptaugenmerk auf den sozialen Beziehungen innerhalb eines Unternehmens.

Die beiden Führungsstile stehen bei diesem Ansatz für zwei entgegengesetzte Enden einer Skala, auf der ein Vorgesetzter sich flexibel bewegen kann. So lässt sich die Führungsstrategie je nach Bedarf anpassen. 

Situationsangemessen führen: Der Reifegrad als Entscheidungshilfe

Wichtig für die Anwendung der Situationstheorie nach Hersey und Blanchard ist der Grundbegriff „Reifegrad“. Er stellt eine wichtige Ergänzung zu den Situationsvariablen, also den Fähigkeiten der Mitarbeiter wie Fachwissen, Kompetenz und Erfahrung sowie Motivation und Bereitschaft dar.

Der Reifegrad von Mitarbeitern sagt aus, wie bereit eine Person ist, bestimmte Aufgaben oder Verantwortungen zu übernehmen. Unterteilt wird dabei in sachliche und psychologische Aspekte: 

  • Sachlich gesehen möchte eine reife Person Verantwortung übernehmen. Dazu bildet sie sich weiter, baut ihre Fähigkeiten aus und eignet sich neues Wissen an. 
  • Psychologisch betrachtet strebt ein reifer Mitarbeiter nach Erfolg, zeigt eine hohe Motivation, Ziele zu erreichen und engagiert sich selbstständig.

Die Stufe des Reifegrads einer Person ist immer aufgabenbezogen. Ein Mitarbeiter kann beispielsweise für eine Aufgabe wie die Organisation des Sekretariats eine hohe Reife haben, während er für eine Tätigkeit wie Schreinerarbeiten gleichzeitig eine sehr niedrige Stufe der Reife aufweist. 

Das Ziel der situativen Führung ist es, einen Stil zu wählen, der zum Reifegrad des jeweiligen Mitarbeiters passt. Wie dies gelingen kann, beschreibt das Reifegradmodell von Hersey und Blanchard.

In jeder Situation richtig führen: Die 4 Strategien des situativen Führungsstils

Die zwei Wissenschaftler leiteten aus ihren Überlegungen zu den Stufen des Reifegrads vier verschiedene Strategien ab, die Führungskräfte beim Leiten von Mitarbeitern einsetzen können. Je reifer ein Arbeitnehmer ist, desto mehr Freiheiten können ihm gewährt werden und desto mehr Mitspracherecht erhält er bei Entscheidungsfindungen.

1. Dirigieren (telling)

Geringes Fachwissen und eine niedrige Motivation des Mitarbeiters fordern vom Chef eine hohe Personen- und Aufgabenorientierung. Die Angestellten brauchen detaillierte Vorgaben, um ihre Arbeiten zu erledigen. Dieses direktive Vorgehen ähnelt dem des autoritären Führungsstils.

Tipp: Kommunizieren Sie Ihre Erwartungen ganz deutlich und kontrollieren Sie die Ergebnisse im Nachhinein. Nur so lässt sich auch wirklich sichergehen, dass die Leistungen den Anforderungen entsprechen.

2. Überzeugen (selling)

Steigt der Reifegrad der Mitarbeiter, bringen sich die Vorgesetzten vermehrt in der Personenorientierung ein. Zusätzlich zu den Anweisungen und Aufgaben erfahren Mitarbeiter auf diese Weise Unterstützung, die sie mit mehr Selbstsicherheit ausstattet. 

Die Führungsabteilung bindet die Angestellten mehr in die Entscheidungsphase mit ein. Sie erhöht damit die innerbetriebliche Transparenz und das Vertrauen im Team.

3. Teilhaben (participating)

Die Teilhabe verlangt einen hohen Reifegrad der Mitarbeiter. Dann können sie in die wichtigen Entscheidungsprozesse einbezogen werden. In der Erledigung ihrer Aufgaben und beim Lösen von Problemen können Sie vollkommen autonom vorgehen. 

Als Führungskraft wissen Sie, dass die Mitarbeiter genügend Reife mitbringen, die Erwartungen in jedem Fall zu erfüllen. So ändert sich die Führung vom direktiven Stil hin zur Beratung und zum persönlichen Kontakt im Sinne eines kooperativen Führungsstils. Sie motivieren Ihre Mitarbeiter, eigenverantwortlich Ideen zu entwickeln und für ihre Entscheidungen einzustehen.

4. Delegieren (delegation)

Erreicht der Reifegrad sein Maximum, sind die betreffenden Mitarbeiter mit den nötigen Kernkompetenzen und den psychischen Voraussetzungen ausgestattet, ihre Aufgaben ohne Unterstützung zu erledigen. In diesem Fall müssen Sie als Vorgesetzter nur noch marginal richtungsgebend eingreifen. Die Mitarbeiter bekommen vermehrt Freiräume, um sich entfalten zu können. Das Führungsverhalten kommt nun dem Laissez-fairen-Führungsstil nahe, es herrschen flache Hierarchien.

Tipp: Neben dem Delegieren, also dem Verteilen von Aufgaben, sollten Sie vor allen Dingen Verantwortung abgeben. Nur so bekommen die Angestellten das Gefühl, wirklich eigenständig im Unternehmen für ihre Leistungen zu stehen und obendrein selbst entscheiden zu können. Zeitgleich zeigen Sie auf diese Weise Demut gegenüber den erbrachten Leistungen. Geben Sie sogar Führungsverantwortung an andere Teammitglieder ab, ist die Rede vom Shared Leadership.

Was sind die Vorteile des situativen Führungsstils für Ihr Unternehmen?

Der situative Führungsstil punktet vor allem mit seiner Flexibilität und Situationsangemessenheit. Das Ziel ist es, Mitarbeitern individuelle Unterstützung zu bieten, um das Beste aus ihrer Arbeitsleistung herauszuholen. Im Sinne einer humanistischen Führung werden dabei vor allem auch die individuellen Bedürfnisse der Arbeitnehmer berücksichtigt.

Wer bereits Experte auf seinem Arbeitsgebiet ist, erhält freie Hand und darf autonom und selbstbestimmt arbeiten. Neue Kollegen, Praktikanten und Auszubildende hingegen erfahren situative Begleitung und bekommen die Hilfe, die sie benötigen. Das trägt dazu bei, dass jedes Teammitglied genau die richtige Balance aus Selbstständigkeit und Anleitung erfährt. Damit geht das Potenzial einher, die Leistungen, die Motivation und die mentalen Qualitäten im Unternehmen entscheidend zu verbessern.

Welche Kritik gibt es am situativen Führungsstil?

So viele Chancen er bietet: Ganz frei von Risiken und Gefahren ist der situationsorientierte Führungsstil nicht. Sie müssen die Fähigkeit mitbringen, zu erkennen, wann Ihre Mitarbeiter Unterstützung benötigen und außerdem ihre Arbeitsleistung adäquat einschätzen. Erst wenn der Reifegrad feststeht, lässt sich daraus die entsprechende Maßnahme schlussfolgern.

Der Nachteil: Nicht selten schleichen sich in diesen Prozess Fehler ein und die Angestellten sind mit einem vollkommen falschen Führungsstil konfrontiert. Hiervon profitiert niemand und die Motivation sinkt innerhalb kurzer Zeit stark ab. 

Darüber hinaus muss sich die Betriebsführung zutrauen, alle Führungsstile authentisch zu vertreten. Sie müssen dazu in der Lage sein, individuell auf die Gegebenheiten zu reagieren und im Betrieb verschiedene Aufgaben zu übernehmen. Jeder Mitarbeiter ist ein Individuum und muss dementsprechend gefördert werden. Das gilt für neue Angestellte genauso, wie für langjährige Mitarbeiter.

Außerdem fehlen wissenschaftliche Beweise, welche die Kontingenztheorie belegen. Das bedeutet allerdings nicht, dass die daraus gewonnenen Strategien und Handlungsempfehlungen in der Praxis nicht zielführend sind. Doch hier zeigt sich ein weiterer Schwachpunkt des Modells: Es gibt keine klaren Anweisungen, wie genau die Strategien im Arbeitsalltag umzusetzen sind. Es erfordert daher viel Menschenkenntnis und gute Führungsqualitäten, um den situativen Führungsstil adäquat anzuwenden.

Fazit zum situativen Führungsstil: Individuelle Kompetenzen und Situationen im Fokus

Der situative Führungsstil betont, dass es nicht „den einen richtigen“ Führungsstil gibt. Vielmehr beeinflussen verschiedene Faktoren, wie die Arbeitsleistung der Mitarbeiter oder die Umstände, welches Führungsverhalten gerade angemessen ist. 

Eine wichtige Rolle kommt dabei dem Reifegrad der Teammitglieder zu. Je reifer ein Arbeitnehmer ist, desto höher ist auch der Selbstständigkeitsgrad. Die Herausforderung für Führungskräfte besteht bei der situativen Führung darin herauszufinden, in welcher Phase des Reifungsprozesses sich ein Mitarbeiter befindet. Basierend darauf wird dann eine geeignete Führungsstrategie gewählt, die den Führungserfolg maßgeblich prägt.

FAQ: Fragen und Antworten zum situativen Führungsstil

Beim situativen Führungsstil passen Vorgesetzte ihr Führungsverhalten an die jeweilige Situation sowie an Bedürfnisse der Mitarbeiter an. Neue Kollegen erhalten dabei beispielsweise striktere Vorgaben als langjährige Mitarbeiter.
Der Reifegrad eines Mitarbeiters entscheidet darüber, wie selbstständig er arbeiten darf. Teammitglieder mit niedrigem Reifegrad benötigen striktere Anweisungen als Personen mit sehr hohem Selbstständigkeitsgrad.