
Beschäftigungspflicht schwerbehinderter Mitarbeiter: Anspruch, Anzeige und gesetzliche Grundlage
- Was ist die Beschäftigungspflicht für behinderte Mitarbeiter?
- Ab wann fallen Arbeitgeber unter die Beschäftigungspflicht?
- Wie viele entsprechende Arbeitsplätze muss der Arbeitgeber bereitstellen?
- Welche Arbeitsplätze fallen nicht unter die Berechnung?
- Was passiert bei Nichterfüllung der Beschäftigungspflicht?
- Darf ein Arbeitgeber nach Schwerbehinderung im Einstellungsverfahren bzw. im Arbeitsverhältnis fragen?
- Welche Sonderregelungen gelten bezüglich Kündigung und Urlaub?
Um Chancengleichheit und Teilhabe bei der Arbeit zu gewährleisten, hat der Gesetzgeber eine Pflicht zur Beschäftigung für schwerbehinderte Menschen vorgesehen. Die Beschäftigungspflicht ist ein wesentlicher Bestandteil des deutschen Arbeitsrechts. Die wesentlichen Regelungen zur Beschäftigungspflicht sind im 9. Sozialgesetzbuch (SGB IX – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen) festgehalten.
Arbeitgeber ab einer bestimmten Betriebsgröße sind verpflichtet, die gesetzlichen Anforderungen in Bezug auf den Beschäftigungsanspruch zu erfüllen oder eine Ausgleichsabgabe abzuführen. Dieser Artikel erklärt aus Arbeitgebersicht, was der Beschäftigungsanspruch konkret für Arbeitgeber und die Beschäftigung von Mitarbeitern bedeutet.
Ab wann fallen Arbeitgeber unter die Beschäftigungspflicht?
Die Anzeige und Pflicht zur Beschäftigung gilt, sobald ein Unternehmen im Jahresdurchschnitt 20 oder mehr Arbeitsplätze hat. Dabei zählen gemäß § 158 SGB IX alle Arbeitsverhältnisse, egal ob Voll- oder Teilzeit, solange sie mindestens 18 Wochenstunden umfassen (§ 158 SGB IX). Geringfügig Beschäftigte mit entsprechendem Stundenumfang werden ebenfalls berücksichtigt. Auszubildende oder ruhende Arbeitsverhältnisse wie Elternzeit, Krankheitszeiten oder unbezahlter Urlaub fließen nicht in die Berechnung ein.
Wer gilt im Arbeitsrecht als schwerbehindert?
Menschen gelten als schwerbehindert, wenn ihr Grad der Behinderung (GdB) mindestens 50 beträgt. Ein ärztliches Gutachten stellt den Grad der Behinderung fest. Es dient dazu, den Umfang der Beeinträchtigungen im Alltag und Berufsleben einzuschätzen. Personen mit einem GdB ab 30 sind aus Sicht des Arbeitsrechts nicht schwerbehindert.
Ihnen steht jedoch trotzdem die Möglichkeit offen, eine Anrechnung und Gleichstellung zu beantragen. Dies gilt, wenn sie aufgrund ihrer Einschränkungen vergleichbare Nachteile am Arbeitsmarkt haben. Eine solche Gleichstellung ermöglicht ihnen ähnliche rechtliche Vorteile wie Menschen mit Schwerbehinderung zu nutzen. Dazu gehören beispielsweise verbesserter Kündigungsschutz oder Unterstützung durch die Arbeitsagentur.
Welche Behinderungen fallen unter die Pflicht?
Die Pflicht zur Beschäftigung deckt ein breites Spektrum von Behinderungen ab, darunter:
- Körperliche Behinderungen,
- Sinnesbehinderungen (beispielsweise Seh- und Hörbehinderungen),
- Geistige Behinderungen sowie
- Seelische Behinderungen.
Arbeitgeber sind bei der Besetzung freier Stellen verpflichtet, zu überprüfen, ob sie schwerbehinderte oder gleichgestellte Menschen einstellen können. Die Arbeit muss in diesem Fall an die Behinderung angepasst werden. Dies kann durch die Ausstattung des Arbeitsplatzes mit notwendigen technischen Hilfsmitteln geschehen. Die Einrichtung von Teilzeitarbeitsplätzen kann ebenfalls eine Möglichkeit darstellen, schwerbehinderte Arbeitnehmer einzustellen. Wesentliche Punkte der Anpassung der Beschäftigung sollten im Arbeitsvertrag vermerkt werden.
Typische Beispiele für Erkrankungen oder Behinderungen sind:
- Verlust einer Hand oder eines Armes, wodurch umfangreiche Einschränkungen bei der Ausführung alltäglicher Tätigkeiten entstehen (Anrechnung GdB 50).
- Chronische Rückenbeschwerden mit anhaltenden Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule, die die berufliche Leistungsfähigkeit beeinträchtigen (Anrechnung GdB 30).
- Stark eingeschränkte Sehfähigkeit, beispielsweise bei einer verbleibenden Sehschärfe von höchstens 5 % auf beiden Augen (GdB 50).
- Moderates Hörvermögen auf beiden Ohren, das durch technische Hilfsmittel wie Hörgeräte nur teilweise kompensiert werden kann (GdB 30).
- Schwere chronische Erkrankungen wie Diabetes mellitus mit starken Komplikationen trotz optimaler Therapie (GdB 50).
Wie viele entsprechende Arbeitsplätze muss der Arbeitgeber bereitstellen?
Die Anzahl der Pflichtarbeitsplätze hängt von der Gesamtanzahl der vorhandenen Arbeitsplätze im Unternehmen ab. Dabei gilt lt. Arbeitsrecht folgendes:
- 20 bis 39 Arbeitsplätze: mindestens 1 Pflichtarbeitsplatz.
- 40 bis 59 Arbeitsplätze: mindestens 2 Pflichtarbeitsplätze.
- 60 oder mehr Arbeitsplätze: mindestens 5 % aller Stellen als Pflichtarbeitsplätze.
Berechnet wird der exakte Wert aller Arbeitsplätze anhand des Jahresdurchschnitts durch die Auflistung aller Stellen. Die Bundesagentur für Arbeit bietet Formulare für Arbeitgeber an und unterstützt Menschen mit Behinderungen durch ein breites Angebot an Beratungsmöglichkeiten sowie Informationen für finanzielle Förderung.
Beispiele zur Berechnung der Pflichtarbeitsplätze
Die Berechnung der Pflichtarbeitsplätze erfolgt generell auf Grundlage von § 154 SGB IX. Die folgenden beiden Praxisbeispiele zeigen anschaulich, wie die Kalkulation in der Praxis erfolgt.
International agierender Industriebetrieb aus Süddeutschland
Ein Industriebetrieb, der in seinem Stammwerk in München insgesamt 1200 Arbeitsplätze ausweist, muss gemäß den Vorgaben des Sozialgesetzbuches mindestens 5 % seiner Stellen als Pflichtarbeitsplätze ausweisen.
Berechnung: 1200 Beschäftigte * 0,05 = 60 Pflichtarbeitsplätze.
Der Betrieb ist somit verpflichtet, mindestens 60 Arbeitsplätze für die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen vorzuhalten.
Mittelständischer Handwerksbetrieb aus Norddeutschland
Ein Handwerksbetrieb aus Norddeutschland mit 45 Arbeitsplätzen ist gemäß § 154 SGB IX verpflichtet, mindestens 2 Pflichtarbeitsplätze für schwerbehinderte Arbeitnehmer in den Betrieb zu integrieren. Es besteht somit ein Beschäftigungsanspruch für 2 Arbeitnehmer mit Behinderung.
Welche Arbeitsplätze fallen nicht unter die Berechnung?
Folgende Arbeitsplätze werden nicht nach § 154 SGB IX für die Berechnung von Pflichtarbeitsplätzen herangezogen:
- Anrechnung aller Stellen von Auszubildenden
- Heimarbeitsplätze (Arbeitsverhältnisse von Heimarbeitnehmern)
- Die Position des Arbeitgebers selbst, solange dieser eine juristische Person oder eine Personengesamtheit ist. Gemäß § 5 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) zählen Personen, die durch Gesetz, Satzung oder Gesellschaftsvertrag zur Vertretung einer juristischen Person oder Personengesamtheit berufen sind, nicht als Arbeitnehmer.
- Arbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen im Rahmen einer Übergangsmaßnahme einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) auf den allgemeinen Arbeitsmarkt.
- Arbeitsplätze für behinderte und schwerbehinderte Menschen, die eine berufliche Ausbildung in einer Einrichtung der beruflichen Rehabilitation absolvieren.
- Arbeitsplätze zur innerbetrieblichen Qualifizierung im Rahmen Unterstützter Beschäftigung nach § 55 SGB IX.
Was passiert bei Nichterfüllung der Beschäftigungspflicht?
Unternehmen, die die Quote nicht erreichen, müssen eine Ausgleichsabgabe zahlen. Diese beträgt nach § 160 SGB IX derzeit:
- 125 Euro monatlich pro unbesetztem Pflichtarbeitsplatz bei einer Quote von 3 Prozent bis weniger als 5 Prozent,
- 220 Euro bei einer Quote von 2 Prozent bis weniger als 3 Prozent,
- 320 Euro bei einer Quote von weniger als 2 Prozent, und
- 720 Euro bei einer jahresdurchschnittlichen Beschäftigungsquote von 0 Prozent.
Praxisbeispiel: Der oben erwähnte Industriebetrieb mit 1200 Arbeitsplätzen muss gemäß § 154 SGB IX 5 % aller Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzen, was 60 Pflichtarbeitsplätzen entspricht. Besetzt der Betrieb jedoch nur 30 dieser Plätze, bleiben weitere 30 unbesetzt.
In diesem Fall fällt laut § 160 SGB IX eine Ausgleichsabgabe von 320 Euro pro unbesetztem Pflichtarbeitsplatz an. Die Quote liegt unter 2 %. Daraus ergibt sich folgende Rechnung:
30 unbesetzte Pflichtarbeitsplätze × 320 Euro = 9.600 Euro monatlich.
Der Betrieb müsste eine Ausgleichsabgabe von insgesamt 9.600 Euro pro Monat bezahlen. Pro Kalenderjahr Summe von 115.200 Euro beläuft. Diese finanzielle Belastung zeigt die Wichtigkeit, die Beschäftigungspflicht zu erfüllen und die Vorteile der Integration schwerbehinderter Menschen zu nutzen.
Die Zahlung der Ausgleichsabgabe motiviert Unternehmen, ihre Beschäftigungspflicht zu erfüllen. Die Mittel der Ausgleichsabgabe fließen vor allem in Unterstützungsmaßnahmen für schwerbehinderte Arbeitskräfte.
Darf ein Arbeitgeber nach Schwerbehinderung im Einstellungsverfahren bzw. im Arbeitsverhältnis fragen?
Die Frage nach einer Schwerbehinderung im Einstellungsverfahren ist generell unzulässig und gilt als diskriminierend. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbietet jegliche Benachteiligung aufgrund einer Behinderung im § 1 AGG. Arbeitgeber dürfen bei Bewerbungsgesprächen oder in Personalfragebögen daher abseits von zwei Ausnahmen nicht nach einer Behinderung fragen:
Wenn eine bestimmte körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit für die konkrete Stelle wesentlich und entscheidend ist. Beispielsweise muss ein Pilot über sehr gute Sehfähigkeiten verfügen und diese nachweisen.
Wenn die gesundheitlichen Beeinträchtigungen die Ausübung der Tätigkeit unmöglich machen würden. Ein Beispiel hierfür wäre eine Krankenschwester, die aus gesundheitlichen Gründen abends Medikamente einnehmen muss, die sie schläfrig machen. Sie wäre objektiv nicht in der Lage, Nachtschichten zu übernehmen.
Nach Schließen des Arbeitsvertrags ändert sich die Situation. Nach sechs Monaten darf der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nach einer Schwerbehinderung fragen. Dies ist besonders dann wichtig, wenn Kündigungen vorbereitet werden. Dabei müssen die speziellen Schutzvorschriften für schwerbehinderte Arbeitnehmer beachtet werden.
Welche Sonderregelungen gelten bezüglich Kündigung und Urlaub?
Der Grund für die unterschiedliche Behandlung von schwerbehinderten Arbeitnehmern vor der Einstellung und nach der Probezeit ist darin begründet, dass Arbeitgeber gegenüber schwerbehinderten Mitarbeitern bestimmte gesetzliche Pflichten haben. Dazu gehören etwa die Berücksichtigung bei einer Sozialauswahl oder das Einholen der Zustimmung des Integrationsamtes bei Kündigungen. Schwerbehinderte Arbeitnehmer können Klage erheben, wenn die folgenden 3Sonderregeln nicht beachtet werden:
- Kündigungsschutz: Schwerbehinderte Arbeitnehmer haben einen besonderen Kündigungsschutz. Jede Kündigung, egal ob ordentlich oder außerordentlich, erfordert die vorherige Zustimmung des zuständigen Integrationsamtes gemäß § 168 SGB IX. Ohne diese Zustimmung bleibt die Kündigung unwirksam und es kann Klage eingereicht werden.
- Zusatzurlaub: Schwerbehinderte haben jedes Jahr Anspruch auf fünf zusätzliche Arbeitstage Freistellung oder Urlaub von der Arbeit nach § 208 SGB IX. Dieser Anspruch besteht unabhängig von Tarifvereinbarungen oder betrieblichen Urlaubsregelungen.
- Freistellung von Mehrarbeit: Arbeitgeber müssen schwerbehinderte Mitarbeiter auf Verlangen von Mehrarbeit und Überstunden freistellen (§ 207 SGB IX).