Schwerbehinderte Mitarbeiter kündigen: Vorgaben und Gesetze

Schwerbehinderte Menschen werden in Deutschland mittels eines besonderen Kündigungsschutzes geschützt. Diese hohen Anforderungen an eine Kündigung von schwerbehinderten Personen sollen verhindern, dass Menschen mit Behinderung vorschnell und ohne Würdigung ihrer besonderen Situation gekündigt werden. Allerdings können Arbeitsverträge mit Schwerbehinderten trotzdem aufgelöst werden. Worauf Personaler und Führungskräfte bei der Kündigung Schwerbehinderter achten müssen, wann die Zustimmung des Integrationsamtes zwingend notwendig ist und welche Ausnahmen der Gesetzgeber vorgesehen hat, zeigt dieser Artikel.
Inhaltsverzeichnis

Was sind die rechtliche Vorgaben zum Kündigungsschutz für Schwerbehinderte?

Der allgemeine Kündigungsschutz für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne Behinderung wird im Kündigungsschutzgesetz (KSchG) geregelt. Führungskräfte und Personaler sind mit den Vorgaben und Möglichkeiten zur Kündigung von Angestellten in der Regel gut vertraut. Abweichend zu den gesetzlichen Bestimmungen des KSchG gelten bei schwerbehinderten Arbeitnehmern andere Kündigungsformalitäten. Der Gesetzgeber hat im Neunten Sozialgesetzbuch eindeutig geregelt, wann Menschen mit einer Behinderung entlassen werden können und wann eine Kündigung ungerechtfertigt ist.

Um langwierigen und teuren Kündigungsschutzklagen vor dem Arbeitsgericht aus dem Weg zu gehen, ist es aus Arbeitgebersicht zielführend, die rechtlichen Bestimmungen des SGB IX zu kennen und im Detail anzuwenden.

Wie ist der Kündigungsschutz für Schwerbehinderte geregelt?

In den Paragrafen 168 bis 175 des SGB IX finden Unternehmen alle wesentlichen Richtlinien, die bei der Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers beachtet werden müssen.

Grundsätzlich gilt, dass Schwerbehinderte von einem umfassenden Kündigungsschutz profitieren. Sie müssen im Betrieb in Bezug auf ihre Fähigkeiten und Kenntnisse umfassend gefördert werden und können ausschließlich im Einzelfall nach umfassender Prüfung gekündigt werden. Wird ihr Arbeitsplatz betriebsbedingt abgebaut, haben Schwerbehinderte einen Rechtsanspruch auf eine adäquate, gleichwertige Tätigkeit im Unternehmen. Darüber hinaus haben sie einen Anspruch auf folgende Zusatzleistungen:

  • Teilzeitarbeit, solange dies aus medizinischer Sicht erforderlich ist.
  • Einen behindertengerecht ausgebauten Arbeitsplatz.
  • Einen Zusatzurlaub von 5 Tagen für das gesamte Kalenderjahr (§ 208 Absatz 1 SGB IX)
  • Schwerbehinderte Menschen werden auf ihr Verlangen von Mehrarbeit freigestellt. (§ 207 SGB IX)

Trotz der faktischen Unkündbarkeit gibt es auf Antrag beim Integrationsamt die Möglichkeit, einen Arbeitsvertrag mit einem schwerbehinderten Mitarbeiter zu kündigen.

Das Integrationsamt involvieren: Wie kündigen Sie Schwerbehinderte gesetzeskonform?

Der § 168 SGB IX stellt klar, dass vor jeder Kündigung eines schwerbehinderten Menschen die Zustimmung des Integrationsamtes eingeholt werden muss. Gemäß § 169 SGB IX beträgt die Kündigungsfrist mindestens vier Wochen.

Für die Praxis bedeutet dies, dass die Kündigung eines Schwerbehinderten vor der eigentlichen Übergabe des Kündigungsschreibens mit dem Integrationsamt schriftlich oder elektronisch abgestimmt werden muss. § 170 SGB IX präzisiert den Fokus des Integrationsamtes, das vor allem eine gütliche Einigung im Blick hat. Es prüft in einer Einzelfallentscheidung, ob der Kündigungsgrund und die Umstände stichhaltig sind. Hierfür holt das Integrationsamt eine Stellungnahme des Betriebsrates oder Personalrates und der Schwerbehindertenvertretung ein und hört den schwerbehinderten Menschen an.

Falls im Einzelfall erforderlich, werden vom Integrationsamt Spezialisten hinzugezogen, die die Kündigungsgründe fachbezogen prüfen. Die Fachdienste des Integrationsamtes oder des technischen Beratungsdienstes ermitteln, ob und in welchem Umfang technische Veränderungen zu einer Weiterbeschäftigung des Mitarbeiters führen könnten. Arbeitsmediziner oder Spezialisten für Menschen mit Seh- oder Hörbehinderung können ebenfalls als fachkundige Personen in die Entscheidungsfindung einbezogen werden.

Nachdem alle Beteiligten angehört und der Sachverhalt vom Integrationsamt und Fachleuten überprüft wurde, kommt das Integrationsamt zu seiner Entscheidung. Vorgeschaltet ist die Möglichkeit der gütlichen Einigung zwischen dem Arbeitgeber und dem schwerbehinderten Mitarbeiter. Eine Kompromisslösung könnte beispielsweise die Zahlung einer finanziellen Abfindung oder die Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz beinhalten.

Kommt keine Einigung zwischen den Vertragspartnern zustande, trifft das Integrationsamt gegenüber dem Arbeitgeber eine Entscheidung. Mit der Entscheidung kann die Kündigung des Arbeitsverhältnisses auf Grundlage von § 168 SGB IX untersagt oder positiv beschieden werden. In diesem Fall kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis durch schriftliche Kündigung fristgemäß beenden. Arbeitgeber und Arbeitnehmer können Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Integrationsamtes einlegen und eine Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht einreichen.

Ermessensspielraum des Integrationsamtes

Das zuständige Integrationsamt prüft jeden Einzelfall intensiv und wägt die Interessen beider Vertragsparteien ab. Neben den gesetzlichen Vorgaben bezieht es die innerbetriebliche Struktur und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in seine Entscheidung ein. Ebenso fließen die Maßnahmen zur Integration und Prävention und die Erfüllung der Beschäftigungspflicht nach § 154 SGB IX mit in die Ermessensentscheidung ein.

Befindet sich das Unternehmen in einem Insolvenzverfahren, schränkt dies gemäß § 172 SGB IX den Ermessensspielraum des Integrationsamtes ein. Zusammenfassend haben Unternehmen, die sich vorbildlich um Integration und Prävention im Betrieb kümmern und Ihrer Verantwortung gegenüber Schwerbehinderten nachkommen, in einer Einzelfallentscheidung bessere Chancen, einen schwerbehinderten Arbeitnehmer zu kündigen.

Schwerbehindertenvertretung muss zusätzlich zwingend angehört werden

Durch das im Jahr 2017 in Kraft getretene Bundesteilhabegesetz (BTHG) haben sich die Hürden für eine Kündigung von Schwerbehinderten weiter erhöht. Mit der Implementierung des BTHG wurde der § 178 SGB IX um folgenden Passus erweitert: „Die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, die der Arbeitgeber ohne eine Beteiligung (der Schwerbehindertenvertretung) nach Satz 1 ausspricht, ist unwirksam.“

Eine Schwerbehindertenvertretung (SBV) muss gemäß § 177 SGB IX im Betrieb installiert werden, wenn wenigstens fünf schwerbehinderte Menschen nicht nur vorübergehend beschäftigt sind. Da Unternehmen auf Grundlage von § 154 SGB IX gesetzlich verpflichtet sind, mindestens fünf Prozent Schwerbehinderte einzustellen, muss bei einer Betriebsgröße von 100 Mitarbeitern zwingend eine Schwerbehindertenvertretung gewählt werden. Die SBV hat im Unternehmen die Aufgabe, die korrekte Anwendung der gesetzlichen Vorschriften zu überwachen und schwerbehinderte Arbeitnehmer zu unterstützen.

Was sind gesetzliche Ausnahmen, die eine Kündigung von Schwerbehinderten möglich machen?

Neben den Einzelfallentscheidungen des Integrationsamtes hat der Gesetzgeber Ausnahmen verfügt, bei denen eine Kündigung von schwerbehinderten Mitarbeitern ohne Zustimmung möglich ist. Diese werden im § 173 SGB IX spezifiziert.

  1. Schwerbehinderte Arbeitnehmer können in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses zustimmungsfrei gekündigt werden. Die ersten sechs Monate gelten grundsätzlich im Arbeitsrecht als Probezeit.
  2. Mitarbeiter mit einer Schwerbehinderung, die das 58. Lebensjahr vollendet haben und einen Anspruch auf eine Abfindung oder ähnliche Leistungen, beispielsweise auf Altersteilzeit haben, können ebenfalls zustimmungsfrei gekündigt werden.

Tipp: Arbeitgeber, die Mitarbeiter mit einer Schwerbehinderung beschäftigen, sollten die ersten sechs Monate der Anstellung im Besonderen bewerten und überblicken, ob die Arbeitsleistung des Angestellten den Anforderungen genügt. Während bei Mitarbeitern ohne Schwerbehinderung die gesetzlichen Kündigungsfristen bei Low-Performance angewandt werden können, sind die Hürden bei Schwerbehinderten nach der Probezeit entsprechend höher. Aus diesem Grund sollten die Leistungen in der Probezeit mit besonderem Augenmerk beachtet werden.

Kündigung durch den Arbeitnehmer jederzeit möglich

Schwerbehinderte Mitarbeiter können im Umkehrschluss zu jedem Zeitpunkt eine Eigenkündigung unter Beachtung der im Arbeitsvertrag verankerten Kündigungsfristen vollziehen. Ist im Arbeitsvertrag keine weitergehende Kündigungsfrist dargestellt, ist eine Eigenkündigung mit einer Frist von vier Wochen zum 15. eines Monats oder zum Monatsende möglich.

Definition Schwerbehinderung – diese Grade werden unterschieden

Gemäß § 2 des SGB IX werden die folgenden Grade einer Schwerbehinderung unterschieden:

Schwerbehinderung

Wenn ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt

Gleichgestellt behinderte Menschen

Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen oder nicht behalten können

Grundsätzlich gelten Menschen als behindert, die eine körperliche, seelische, geistige oder anderweitige Sinnesbeeinträchtigung haben, die Sie an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindert.

Gemäß einer Untersuchung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) sind in deutschen Unternehmen mehr als 1 Million schwerbehinderte Arbeitnehmer beschäftigt. Einen Grad der Behinderung von mindestens 50 Prozent erlangt man unter anderem:

  • Bei einer Krebserkrankung nach Entfernung von bösartigen Tumoren.
  • Bei schweren Verlaufsformen des Bluthochdrucks (Hypertonie).
  • Bei einem Bronchialasthma.
  • Beim Verlust von Gliedmaßen (Verlust eines Armes 80 % / Verlust beider Beine 100 %).

Die komplette Tabelle mit dem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) sowie dem Grad der Behinderung (GdB) finden Arbeitgeber in der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) im Internet. Die Feststellung der Schwerbehinderung und Eintragung in einen Schwerbehindertenausweis erfolgt bei der zuständigen Kommunalverwaltung oder beim Integrationsamt. Arbeitnehmer sind nicht verpflichtet, den Arbeitgeber bei der Einstellung über die Schwerbehinderung zu informieren.

Wichtig: Bei einem Grad von unter 50 der Schwerbehinderung kann ein Arbeitnehmer auf Antrag einem Schwerbehinderten gleichgestellt werden. Er verfügt in diesem Fall über einen äquivalenten Kündigungsschutz wie ein Schwerbehinderter. Menschen mit einer Behinderung können einen Gleichstellungsantrag online bei der Bundesagentur für Arbeit stellen.

Fazit: Schwerbehinderte Arbeitnehmer sind trotz ihres besonderen Kündigungsschutzes nicht unkündbar

Der Gesetzgeber hat durch die Vorgaben des SGB IX und durch das Bundesteilhabegesetz den besonderen Schutz von schwerbehinderten Arbeitnehmern klargestellt. Menschen mit Behinderung genießen nach Ablauf der Probezeit zurecht einen umfassenden Kündigungsschutz, um ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu sichern. Möchten Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit einem Schwerbehinderten auflösen, müssen Sie zwingend das Integrationsamt einschalten.

Das Integrationsamt prüft auf Basis einer Einzelfallentscheidung, ob das Arbeitsverhältnis gekündigt werden kann. Hierbei hört es den Betriebs- oder Personalrat und die Schwerbehindertenvertretung sowie den betroffenen Arbeitnehmer an. Fachleute wie beispielsweise Betriebsärzte können ebenfalls hinzugezogen werden. In letzter Instanz trifft das Integrationsamt die Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen.

Aus Arbeitgebersicht ist es entscheidend, plausible Gründe für die Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers vorzulegen. Der Probezeit kommt bei Menschen mit Behinderung eine wichtige Bedeutung zu, da in den ersten sechs Monaten das Vertragsverhältnis zustimmungsfrei gekündigt werden kann. Unternehmen handeln zielführend, wenn sie die gesetzlichen Vorgaben, Ausnahme und den korrekten Ablauf einer Kündigung von Schwerbehinderten kennen und beachten.