Betriebliche Übung: Entstehung, Folgen und Prävention

Betriebliche Übung: Entstehung, Folgen und Prävention

Betriebliche Übungen fürchten viele Arbeitgeber. Schließlich entsteht durch die Betriebsübung ein rechtlicher Anspruch im Arbeitsrecht, den Arbeitgeber erfüllen müssen. Doch was ist eine betriebliche Übung überhaupt? Ab wann und wie eine betriebliche Übung entsteht, welche Folgen daraus resultieren und ob Arbeitgeber die Betriebsübung wieder rückgängig machen können, zeigt dieser Artikel.
Inhaltsverzeichnis

Was ist eine betriebliche Übung?

Eine betriebliche Übung, auch Betriebsübung genannt, beschreibt die regelmäßige Wiederkehr einer speziellen Aktion durch den Arbeitgeber, welche einen Anspruch der Arbeitnehmer auch in den darauffolgenden Jahren begründet. 

Durch die Wiederholung von bestimmten Leistungen oder Gratifikationen entsteht also ein rechtsverbindlicher Anspruch. Arbeitgeber sind bei einer entstandenen betrieblichen Übung dazu verpflichtet, die zugrundeliegende Aktion zu wiederholen.

Spricht man von einer betrieblichen Übung, bezieht sich der Begriff grundsätzlich auf Vergünstigungen, die freiwillig vom Arbeitgeber bereitgestellt, bezahlt oder gewährt werden. 

Gibt es eine rechtliche Grundlage für die betriebliche Übung?

Es gibt keinen rechtlich bindenden Paragrafen in deutschen Gesetzen, der den Begriff „betriebliche Übung“ enthält. Im § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) wird allerdings der Sinn und die Bedeutung einer betrieblichen Übung ausgedrückt, wenn es heißt: 

„Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.“ 

Stellt ein Arbeitgeber einzelnen Arbeitnehmern oder der gesamten Belegschaft wiederholt Vergünstigungen zur Verfügung, entsteht mit der Zeit ein Rechtsanspruch. Dieser begründet sich auf „Treue und Glauben“ und wurde in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in vielen Fällen thematisiert.

Ab wann entsteht eine betriebliche Übung?

Vereinfacht ausgedrückt entsteht eine betriebliche Übung, sobald ein Arbeitgeber ein bestimmtes Verhalten vorbehaltlos und mehrfach (in der Regel Wiederholung über mehrere Jahre) wiederholt. 

Es gibt aus rechtlicher Sicht keine verbindliche Zeitspanne oder Anzahl an Wiederholungen, ab der von einer betrieblichen Übung gesprochen werden kann. Vielmehr müssen die spezifischen Umstände jedes Einzelfalls berücksichtigt und bewertet werden. 

Bei der Frage, ob sich für Arbeitnehmer aufgrund einer betrieblichen Übung ein Anspruch ergibt, ist es entscheidend, wie der Arbeitnehmer das Verhalten seines Arbeitgebers unter Berücksichtigung sämtlicher Begleitumstände (z.B. Art, Dauer, Intensität der Leistungen) verstehen konnte. 

Ein Anhaltspunkt der Rechtsprechung besagt, dass nach dreimaliger Wiederholung von einer betrieblichen Übung gesprochen werden kann. 

Welche Beispiele für eine betriebliche Übung gibt es in der Praxis? 

Typische betriebliche Übungen, aus denen sich ein Rechtsanspruch ableiten lässt, sind: 

  • Wiederholte und freiwillige Sonderzahlungen wie Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld.
  • Freiwillige Freistellung an bestimmten Tagen, zum Beispiel an Karneval.
  • Kostenübernahme von Verpflegungskosten in der Kantine oder bei anderen Anlässen
  • Gestatten der privaten Nutzung von Internet oder technischen Geräten.

Beispiel für eine Betriebsübung: Im Arbeitsvertrag der Mitarbeiter eines Unternehmens findet sich kein Hinweis auf die Zahlung eines 13. Monatsgehalts (Weihnachtsgeld) oder auf die Vergütung von Urlaubsgeld. Ein Tarifvertrag oder eine individuelle Betriebsvereinbarung finden ebenfalls keine Anwendung. 

Der Arbeitgeber entscheidet im Jahr 2017 aufgrund der guten Auftragslage, dass jeder Mitarbeiter ein volles 13. Monatsgehalt und ein Urlaubsgeld in Höhe von 1.000 Euro erhält. In den darauffolgenden Kalenderjahren wird das Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld in gleicher Höhe und freiwillig vom Arbeitgeber ausbezahlt. In diesem Fall kann man von einer betrieblichen Übung sprechen, da es um eine wiederholte Vergünstigung handelt, auf die der Arbeitnehmer vertraglich keinen Anspruch hat.

Bei Sonderzuwendungen wie Weihnachtsgeld oder Urlaubsgeld wird in der aktuellen Rechtsprechung eine betriebliche Übung angenommen, wenn der Arbeitgeber diese Leistungen drei Jahre in Folge ohne Vorbehalt in gleichbleibender Höhe gewährt hat. 

Eine betriebliche Übung kann ebenfalls entstehen, wenn das Weihnachts- und Urlaubsgeld in den verschiedenen Kalenderjahren in unterschiedlicher Höhe ausbezahlt wurden. Dies legt ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aus dem Jahre 2015 nahe (BAG-Urteil 10 AZR 266/14), bei dem festgelegt wurde, dass sich der Anspruch durch schlüssiges Verhalten ergibt. 

Welche Rechte ergeben sich durch die betriebliche Übung für Arbeitnehmer?

Kann eine betriebliche Übung angenommen oder festgestellt werden, führt dies zu einer einseitigen Vertragsänderung, die aufgrund der wiederholten, freiwilligen Leistung entsteht. Sie verpflichtet den Arbeitgeber dazu, dem Arbeitnehmer zukünftig die bisher gewährten Leistungen ebenfalls zu gewähren. 

Stellt ein Arbeitgeber die Zahlung von Leistungen ein oder werden Vergünstigungen nicht mehr gewährt, hat der Arbeitnehmer die Möglichkeit vor dem zuständigen Arbeitsgericht zu klagen und die Leistungen einzufordern. In vielen Fällen werden derart diffizile Fragen des Arbeitsrechts durch verschiedene Instanzen bis hin zum Bundesarbeitsgericht (BAG) geklärt, da es sich bei jedem Fall um eine Einzelfallentscheidung handelt. 

Wie können Arbeitgebern einer betrieblichen Übung vorbeugen?

Vor allem zwei wesentliche arbeitsrechtliche Instrumente können dazu beitragen, dass keine betriebliche Übung entsteht: 

  1. Freiwilligkeitsvorbehalt.
  2. Keine Regelmäßigkeit bei Leistungen und Vergünstigungen.

Freiwilligkeitsvorbehalt

Um den Freiwilligkeitsvorbehalt eindeutig und rechtssicher zu erklären, muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmern deutlich machen, dass er seine Leistungen freiwillig erbringt. Hierfür ist es auf Grundlage der aktuellen Rechtsprechung ausreichend, bei der Gewährung einer Leistung einen schriftlichen Passus einzufügen, der wie folgt lautet: 

„Die Gewährung des Urlaubsgeldes in Höhe von 1.000 Euro durch den Arbeitgeber erfolgt freiwillig und mit der Maßgabe, dass auch mit einer wiederholten Zahlung kein Rechtsanspruch für die Zukunft begründet wird.“

Den Freiwilligkeitsvorbehalt unterstützen viele Urteile des Bundesarbeitsgerichts, beispielsweise das Urteil vom 12.01.2000 (10 AZR 840/98), in dem es heißt: 

Wird im Arbeitsvertrag eine Weihnachtsgratifikation als freiwillige Leistung bezeichnet, die ohne Anerkennung einer Rechtspflicht gewährt wird, so kann der Arbeitgeber in jedem Jahr erneut eine Entscheidung darüber treffen, ob, unter welchen Voraussetzungen und an welche Arbeitnehmer eine Gratifikation gezahlt werden soll.“

Der Freiwilligkeitsvorbehalt kann entweder vertraglich vereinbart oder einseitig gegenüber dem Arbeitnehmer in Schriftform erklärt werden. 

Keine Regelmäßigkeit bei Zahlungen und Vergünstigungen

Arbeitgeber sollten darauf achten, gewisse Leistungen oder Vergünstigungen nicht regelmäßig zu gewähren. Nach geltender Rechtsprechung tritt Regelmäßigkeit und ein Rechtsanspruch ein, wenn eine freiwillige Leistung drei Jahre in Folge gewährt wurde. Setzen Arbeitgeber nach 2 Jahren mit der Leistung aus und beginnen im übernächsten Jahr erneut mit der Gewährung von Weihnachts- oder Urlaubsgeld oder anderen Gratifikationen, entsteht keine betriebliche Übung. 

Können Arbeitgebern eine betriebliche Übung rückgängig machen und wie ist dies möglich? 

Es ist kein einfaches Unterfangen, eine betriebliche Übung rückgängig zu machen, da die durch eine betriebliche Übung entstandenen Ansprüche Teil des Arbeitsvertrags werden. 

Möglich wäre ein Widerruf. Dieser kann nicht einseitig erfolgen, sondern muss mit dem Arbeitnehmer besprochen und von ihm akzeptiert werden. Hat sich der Arbeitgeber das Recht zum Widerruf in rechtmäßiger Weise durch einen sogenannten Widerrufsvorbehalt offengehalten und ist der Widerruf der Betriebsübung gerechtfertigt, kann diesem nach gerichtlicher Überprüfung stattgegeben werden.

Ebenfalls möglich wäre eine Änderungskündigung oder Vertragsänderung. In einem solchen Fall sollte der Arbeitgeber zunächst versuchen, mit dem Arbeitnehmer eine Vereinbarung zur Beseitigung der betrieblichen Übung zu treffen. Wenn dies nicht möglich ist, kann der Arbeitgeber eine Änderungskündigung aussprechen und dem Arbeitnehmer ein neues Arbeitsangebot unter Ausschluss der bisherigen betrieblichen Übung anbieten. Die Änderungskündigung muss sozial gerechtfertigt sein.

Kann eine betriebliche Übung durch eine Betriebsvereinbarung rückgängig gemacht werden?

Eine betriebliche Übung kann nicht durch eine Betriebsvereinbarung zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung beseitigt werden, da die Ansprüche daraus zu dem zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer geschlossenen Arbeitsvertrag gehören.