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Überstundenabbau: Ratgeber zum Arbeitsrecht, Freizeitausgleich und Mehrarbeit
- Wann besteht Anspruch auf Überstundenabbau?
- Welche Konsequenzen drohen, wenn Überstunden nicht abgebaut werden?
- Folgen eines verspäteten Überstundenabbaus für Arbeitnehmer
- Bis wann müssen Überstunden abgebaut werden?
- Was tun, wenn Überstundenabbau wegen Kündigung oder Krankheit nicht mehr möglich ist?
- Überstundenabbau anordnen als Arbeitgeber – Vorgehen und Rechte
- Tipps für Überstundenabbau als Arbeitgeber
Spätestens, wenn die Zahl der Überstunden einen kritischen Wert erreicht, stellt sich die Frage nach dem Überstundenabbau. Was passiert mit den Überstunden und wie funktioniert der Überstundenabbau gesetzlich und praktisch? Und welche Konsequenzen drohen, wenn Überstunden nicht abgebaut werden. Aus Arbeitgebersicht ergeben sich zusätzliche Fragen, die die Anordnung von Überstunden und die gesetzlichen Vorgaben betreffen.
Dieser Artikel beantwortet als Ratgeber das Thema Abbau von Überstunden faktenorientiert. Er gibt praktische Tipps, damit Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei den Themen Überstunden, Überstundenabbau und Freizeitausgleich fair behandelt werden.
Wann besteht Anspruch auf Überstundenabbau?
Arbeitnehmer haben in der Regel einen Anspruch auf Überstundenabbau, wenn der Arbeitgeber die zusätzliche Arbeit angeordnet, gebilligt oder akzeptiert hat. Die Arbeitszeit und alle Überstunden müssen genau erfasst und aufgeschrieben werden. Ein Arbeitszeitkonto hilft dabei, die Zeiten festzuhalten.
Praxisbeispiel: Frau Schulze arbeitet laut Arbeitsvertrag 40 Stunden pro Woche. Aufgrund eines wichtigen Projekts arbeitet sie seit 2 Monaten regelmäßig 5 Stunden mehr pro Woche. Sie dokumentiert alle Überstunden im digitalen Zeiterfassungssystem, um ihren Anspruch aus der Mehrarbeit zu einem späteren Zeitpunkt bei ihrem Chef als Freizeitausgleich einzureichen. Alternativ zur Freizeit kommt für sie auch eine Auszahlung infrage.
Abbau von Überstunden und Arbeitszeiterfassung: Das EuGH-Urteil zur Arbeitszeit
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 14. Mai 2019 verpflichtet Arbeitgeber in der EU, die tägliche Arbeitszeit ihrer Beschäftigten systematisch zu erfassen. Ein digitales Zeiterfassungssystem muss objektiv, verlässlich und zugänglich sein. Ziel des Urteils ist es, den Arbeitsschutz zu stärken und Überstunden zu verhindern.
Auch in Deutschland hat das Urteil Konsequenzen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied am 13. September 2022, dass Arbeitgeber die Arbeitszeit vollständig erfassen müssen. Diese Verpflichtung ergibt sich aus dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG). Überstunden und Mehrarbeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes müssen durch Auszahlung oder Freizeit ausgeglichen werden.
Welche Konsequenzen drohen, wenn Überstunden nicht abgebaut werden?
Ein nicht abgebauter oder vergüteter Arbeitsaufwand kann rechtliche und finanzielle Folgen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben.
Aus Arbeitgebersicht könnten sich die Ansprüche auf Auszahlung bei fehlendem Überstundenabbau über Monate oder Jahre ansammeln. Dies kann zusammen mit den Zinsen und Gerichtskosten bei einer Klage vor einem Arbeitsgericht kostspielig werden. Gleichzeitig drohen Arbeitgebern Bußgelder oder strafrechtliche Konsequenzen, wenn sie langfristig gegen die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes verstoßen. Ähnliches gilt, wenn die Verpflichtung zur Dokumentation von Arbeitszeiten nicht ernst genommen wird.
Übermäßige Überstunden führen häufig zu gesundheitlichen Problemen bei Arbeitnehmern. Chronische Erkrankungen oder psychische Überforderung gehören zu den typischen Folgen von langfristiger Überlastung. Da Arbeitgeber eine Fürsorgepflicht gegenüber ihren Mitarbeitern haben, drohen ihnen ernsthafte Konsequenzen, wenn nach übermäßiger Arbeitsbelastung gesundheitliche Schäden beim Arbeitnehmer nachweisbar sind.
Folgen eines verspäteten Überstundenabbaus für Arbeitnehmer
Arbeitnehmer riskieren, dass nicht genutzte Überstunden verfallen. Die folgenden Faktoren können dazu führen, dass Überstunden für den Arbeitnehmer ersatzlos verfallen:
- Ausschlussfristen: Enthält der Arbeitsvertrag oder ein Tarifvertrag Klauseln, die einen zeitnahen Ausgleich der Überstunden vorsehen, verfallen Überstunden nach Ablauf. Diese Fristen müssen mindestens drei Monate betragen.
- Gesetzliche Verjährungsfrist: Ohne eine wirksame Ausschlussfrist im Arbeitsvertrag gilt im Arbeitsrecht in der Regel die gesetzliche Verjährungsfrist von drei Jahren gemäߧ 195 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Die Verjährungsfrist beginnt am Ende des Jahres, in dem die Überstunden geleistet wurden.
- Krankheit: Überstunden verfallen möglicherweise, wenn der Arbeitnehmer während des Freizeitausgleichs erkrankt.
Um den Verfall von Überstunden zu verhindern, sollten Arbeitnehmer ihre geleisteten Überstunden sorgfältig dokumentieren und Überstunden rechtzeitig geltend machen.
Tipp: Eine regelmäßige und offene Kommunikation zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zur Planung und Verwendung von Mehrarbeit und zum Überstundenabbau senkt das Konfliktpotenzial.
Bis wann müssen Überstunden abgebaut werden?
Die Frist zum Überstundenabbau muss immer im Kontext gesehen werden:
- Fehlen spezifische Regelungen, schreibt das ArbZG im § 3 einen Ausgleichszeitraum von sechs Monaten vor.
- Tarifverträge können kürzere oder längere Zeiträume festlegen.
- In Betriebsvereinbarungen oder Arbeitsverträgen können Ausschlussfristen vereinbarte werden bis zu denen Überstunden abgebaut werden müssen, bevor sie verfallen.
- Ohne vertragliche Regelungen greifen die allgemeinen Verjährungsfristen nach § 195 BGB (drei Jahre).
Was tun, wenn Überstundenabbau wegen Kündigung oder Krankheit nicht mehr möglich ist?
Arbeitnehmer und Arbeitgeber begegnen manchmal speziellen Herausforderungen beim Reduzieren von Überstunden. Das ergibt sich oft aus verschiedenen Vorstellungen zum Ausgleich. Betriebliche Erfordernisse oder persönliche Umstände wie Krankheit, Urlaub oder Pflege eines Angehörigen machen es ebenfalls häufig schwer, einen passenden Zeitpunkt für den Abbau zu finden. Auch eine Kündigung kann den Überstundenabbau behindern.
Überstundenabbau bei Krankheit
Erkranken Arbeitnehmer während des Freizeitausgleichs oder beim Abbau von Überstunden können sie die verlorene Zeit nicht nachholen. Krankheitstage werden in diesem Fall nicht gutgeschrieben. Beim Freizeitausgleich trägt der Arbeitnehmer im Gegensatz zum Urlaub im Arbeitsrecht das volle Risiko. Verlorene Freizeit wegen Krankheit wird nicht erstattet.
Was tun bei Überstundenabbau nach Kündigung?
- Bei einer fristgerechten Kündigung kann der Überstundenabbau in der Regel in Absprache zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch Freizeitausgleich erfolgen. Beide Parteien einigen sich darauf, die angesammelten Überstunden in Form von zusätzlichen freien Tagen abzubauen. Alternativ muss der Arbeitgeber die offenen Überstunden finanziell vergüten. Diese Vergütung erfolgt gemäß den vertraglich oder gesetzlich festgelegten Stundenlöhnen.
- Bei einer fristlosen Kündigung bleibt oft nur die Option, Überstunden finanziell auszugleichen.
- Ein Aufhebungsvertrag legt in der Regel fest, dass der Mitarbeiter seine verbleibenden Überstunden durch Freistellung von der Arbeit bis zum Ende des Vertrags abbaut.
Überstundenabbau anordnen als Arbeitgeber – Vorgehen und Rechte
Gemäß § 106 Gewerbeordnung (GewO) hat der Arbeitgeber dem Arbeitgeber gegenüber ein Weisungsrecht. Der Gesetzgeber erklärt:
„Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen. Bei der Ausübung des Ermessens hat der Arbeitgeber auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen.“
Die Ausübung des Weisungsrechts bedeutet für die Praxis, dass es im Ermessen des Arbeitgebers liegt, wann und wie Überstunden abgebaut werden. Folgende Faktoren spielen dabei eine Rolle:
- Betriebliche Interessen: Eine niedrige Betriebsauslastung, beispielsweise in den Sommermonaten oder zu Beginn des Jahres kann vom Arbeitgeber genutzt werden, um den Arbeitnehmer anzuweisen, Überstunden abzubauen.
- Vertragsklauseln: Arbeits- oder Tarifverträge können den Abbau eindeutig regeln. In diesem Fall sind sowohl Arbeitgeber wie Arbeitnehmer an die vertraglichen Bedingungen gebunden.
- Individuelle Absprachen: Arbeitgeber profitieren von der Einbeziehung der Mitarbeiter in die Planung. Finden beide Seiten einen fairen Kompromiss für den Abbau von Überstunden, stärkt dies die Bindung und gegenseitige Wertschätzung.
Praxisbeispiel: In den letzten zwei Monaten hat Herr Lehmann 30 Überstunden angesammelt. Obwohl er eine Vergütung der Überstunden bevorzugt, entscheidet sein Chef anders. Er legt fest, dass die Überstunden durch freie Tage ausgeglichen und im Monatsplan eingeplant werden. Eine mündliche Abmachung sorgt dafür, dass beide Seiten informiert sind.
Eine konkrete Ankündigungsfrist für den Abbau von Überstunden sieht das Arbeitsrecht nicht vor. Arbeitgeber müssen jedoch sicherstellen, dass die Ankündigung rechtzeitig erfolgt, um dem Mitarbeiter ausreichend Vorlaufzeit zu ermöglichen. Ratgeber empfehlen, mindestens ein bis zwei Wochen Vorlauf zu gewähren.
Tipps für Überstundenabbau als Arbeitgeber
Die folgenden 4 Tipps helfen Arbeitgebern, Überstunden so weit wie möglich zu vermeiden oder den Abbau von Überstunden fair zu gestalten:
- Personalplanung:Planen Sie den Personaleinsatz mit Weitsicht, sodass ausreichend Mitarbeiter bereitstehen. Vermeiden Sie regelmäßige Überstunden, indem Sie saisonale Schwankungen oder unerwartete Ausfälle einkalkulieren, die die Arbeitslast erhöhen könnten.
- Zeiterfassung:Nutzen Sie digitale Tools oder Software, um Arbeitszeiten genau und transparent zu erfassen. Diese präzise Dokumentation unterstützt Abrechnung der Arbeitszeit und schafft Klarheit.
- Vertragsgestaltung: Sorgen Sie dafür, dass Arbeitsverträge klare Regelungen zu Überstunden enthalten. Dazu zählen Angaben zur Vergütung, zum Freizeitausgleich und zu den Bedingungen, unter denen Überstunden angeordnet werden dürfen. So beugen Sie Missverständnissen und Konflikten vor.
- Effizienzmaßnahmen:Überprüfen und optimieren Sie regelmäßig alle internen Prozesse und Arbeitsabläufe. Minimieren Sie Engpässe, um die Arbeitsbelastung besser zu verteilen. Eine effizientere Organisation kann die Notwendigkeit von Überstunden verringern.