Piktogramm eines Mannes, der auf einer großen Uhr sitzt und arbeitet. Symbolisch soll so das Abbauen von Minusstunden dargestellt werden.

Minusstunden: Zulässigkeit, Kompensation und Gehaltskürzung

In der digitalisierten und flexiblen Arbeitswelt von heute sind flexible Arbeitszeiten und Arbeitszeitkonten keine Seltenheit mehr. Es gehört zur Normalität und „New Work“, dass Arbeitnehmer bei der Arbeit selbst über die Verteilung ihrer Arbeitszeit bestimmen können und im Homeoffice flexibel agieren. Doch was passiert, wenn Arbeitnehmer weniger arbeiten als vertraglich vereinbart? In diesem Fall kommen die sogenannten Minusstunden ins Spiel. In diesem Artikel erfahren Sie, wie man Minusstunden allgemein definiert, welche rechtlichen Rahmenbedingungen zur Arbeitszeit essenziell sind und was bei einer Kündigung gilt. Ebenso wird thematisiert, ob Minusstunden mit Urlaub ausgeglichen werden können und was das Arbeitsrecht generell zum zum Thema Minusstunden sagt.
Inhaltsverzeichnis

Definition: Was sind Minusstunden?

In einem Arbeitsverhältnis können Minusstunden entstehen, wenn Arbeitnehmer weniger Stunden arbeiten als vertraglich vereinbart. Bei Minusstunden ergibt sich auf dem Arbeitszeitkonto eines Mitarbeiters eine negative Bilanz.

Ursachen: Wie entstehen Minusstunden?

Es gibt also verschiedene Gründe oder Anlässe, an denen Mitarbeiter weniger arbeiten als vertraglich festgelegt und damit Minusstunden sammeln. Folgende Beispiele zeigen, wie Minusstunden entstehen:

  1. Unzureichendes Arbeitsaufkommen,
  2. Krankheit oder gesundheitliche Probleme,
  3. Unerwartete familiäre Verpflichtungen,
  4. Fehlende Arbeitsmaterialien oder Ressourcen im Unternehmen,
  5. Betriebliche Fehlplanungen,
  6. Notwendige Schulungen oder Weiterbildungen während der Arbeitszeit,
  7. Persönliche Notfälle.

Wichtig: Nicht immer werden diese Abwesenheiten auch als Minusstunden im Arbeitszeitkonto angerechnet.

Beispiele von Abwesenheiten, die nicht zu Minusstunden führen:

  • Eine Mitarbeiterin hat zwei Kinder im schulpflichtigen Alter. Aufgrund einer ansteckenden Krankheit wurde die Schule vom Gesundheitsamt für 3 Tage geschlossen. Der Angestellten entstehen bei einer 35-Stunden-Woche rechnerisch 21 Minusstunden. Diese werden vom Arbeitgeber jedoch nicht angerechnet, da eine Betriebsvereinbarung bestimmt, dass keine Minusstunden bei „höherer Gewalt“ berechnet werden dürfen.
  • Ein Mitarbeiter hat eine vertraglich vereinbarte Wochenarbeitszeit von 40 Stunden. Er nimmt in einer Woche 2 Tage Urlaub. In diesem Fall und ebenso bei Krankheit und gesetzlichen Feiertagen gilt: Es werden keine Minusstunden berechnet.
  • Mit einem leitenden Angestellten ist Vertrauensarbeit vereinbart. Vertrauensarbeit bedeutet im Arbeitsrecht in Bezug auf die Arbeitszeit, dass die Führungskraft ihre Arbeitszeit eigenverantwortlich und ohne direkte Kontrolle durch den Arbeitgeber gestaltet. Es zählen vor allem die Ergebnisse nicht die reine Arbeitszeit. Der leitende Angestellte hatte in dieser Woche nur 20 Stunden gearbeitet. Es entstehen keine Minusstunden

Kann der Arbeitgeber Minusstunden anordnen?

Ein Arbeitgeber kann Minusstunden anordnen, wenn entsprechende Klauseln im Arbeitsvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder einem Tarifvertrag dies erlauben. Anlässe für das Anordnen von Minusstunden könnten Auftragsschwankungen oder saisonale Auftragsspitzen sein. Voraussetzung für die Möglichkeit der Anordnung ist die Führung eines Arbeitszeitkontos, auf dem Plus- und Minusstunden erfasst werden. Liegen die Ursachen für die Minusstunden im Verhalten des Arbeitnehmers, etwa durch verspätetes Erscheinen oder verfrühtes Verlassen der Arbeit, können diese ebenfalls angerechnet werden.

Sind Arbeitnehmer zur Nacharbeit der Minusstunden verpflichtet?

Bei der Frage, ob Minusstunden nachgeholt werden müssen, gilt das Verursacherprinzip.

Wurden die Minderarbeit vom Arbeitgeber verursacht, indem er dem Arbeitnehmer keine Arbeit zugewiesen hat, ist der Arbeitnehmer gemäß § 615 BGB nicht zur Nacharbeit verpflichtet. Der Arbeitgeber muss in diesem Fall die Minusstunden voll bezahlen und darf sie nicht auf dem Arbeitszeitkonto verbuchen.

Liegt die Minderarbeit in der Verantwortung des Arbeitnehmers, gilt grundsätzlich: Der Mitarbeiter ist zur Nacharbeit verpflichtet. Die meisten Arbeitsverträge regeln spezifisch oder über ein Arbeitszeitkonto, wann und wie Minusstunden kompensiert werden müssen. Ohne eine arbeitsvertragliche Regelung sind Minusstunden in der Regel nicht zulässig. Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, die vereinbarte Arbeitszeit zu leisten.

Wie können Minusstunden kompensiert werden?

Minusstunden können vor allem durch das Ableisten von Überstunden kompensiert werden. Der finanzielle Gegenwert von Minusstunden kann vom Gehalt abgezogen werden, wenn dies explizit im Arbeitsvertrag festgehalten wurde.

Gibt es eine Höchstgrenze für Minusstunden?

Da es keine gesetzliche Regelung für eine Höchstgrenze für Minusstunden gibt, entscheiden der Arbeitsvertrag oder Klauseln in einem Tarifvertrag über Höchstgrenzen. Aus Arbeitgebersicht macht es Sinn, die Höchstgrenze an Minusstunden so zu wählen, dass der Ausgleich des Arbeitszeitkontos realistisch möglich ist.

Beispiel: Ein Arbeitszeitkonto mit 100 Minusstunden durch Mehrarbeit auszugleichen, erfordert eine langfristige Erhöhung der Arbeitsstunden. Das Arbeitsrecht mach durch das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) in diesem Zusammenhang eindeutige Vorgaben zur täglichen Höchstarbeitszeit. Gemäß § 3 ArbZG darf die werktägliche Arbeitszeit acht Stunden nicht überschreiten. Im Einzelfall darf die tägliche Arbeitszeit auf 10 Stunden ausgeweitet werden. Wird ausnahmsweise mehr als 8 Stunden pro Tag gearbeitet, muss die Höchstarbeitszeit innerhalb von sechs Kalendermonaten im Durchschnitt eingehalten werden. Um 100 Minusstunden abzuarbeiten, müsste ein Mitarbeiter seine tägliche Arbeitszeit für 20 Wochen kontinuierlich auf 9 Stunden erhöhen.

Wichtig: Werden im Arbeitsvertrag keine Vorgaben zu Minusstunden und Minderarbeit gemacht und gibt es keine Betriebsvereinbarungen zu flexiblen Arbeitszeiten, sind Minusstunden streng genommen nicht möglich. In diesem Fall würde der Arbeitnehmer beim Aufbau von Minusstunden gegen seine vertraglichen Pflichten verstoßen.

Wie erfolgt die Erfassung von Minusstunden?

Die Erfassung der Arbeitszeit erfolgt in den meisten Betrieben über ein Arbeitszeitkonto, auf dem Plus- und Minusstunden gegenübergestellt werden. Dieses wird entweder manuell oder durch elektronische Zeiterfassungs-Systeme geführt.

Wichtig: Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat im September 2022 (35/22) entschieden, dass alle Arbeitgeber verpflichtet sind, die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter lückenlos und digital zu erfassen. Eine Ausnahme besteht für Betriebe mit weniger als 10 Angestellten. Durch die Entscheidung des BAG ist die manuelle Zeiterfassung mit Stempelkarten, Microsoft Excel oder einem Stundenzettel in der Regel nicht mehr erlaubt.

Was passiert mit Minusstunden bei einer Kündigung?

Bei einer Kündigung dürfen Minusstunden durch den Arbeitgeber grundsätzlich vom letzten Gehalt abgezogen werden, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

  • Der Arbeitsvertrag regelt das Führen eines Arbeitszeitkontos.
  • Im Arbeitsvertrag oder einer Betriebsvereinbarung wird explizit geklärt, dass Minusstunden vom Lohn oder Gehalt abgezogen werden können.
  • Der Arbeitnehmer ist selbst für die Entstehung der Minusstunden verantwortlich.

Sind diese Bedingungen gegeben, darf der Arbeitgeber die Minusstunden nach einer Kündigung bei der letzten Lohnzahlung einbehalten oder vom Arbeitnehmer zurückfordern. Ein Nacharbeiten der Minusstunden nach der Kündigung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist nicht möglich. Für Überstunden gilt, dass diese ausbezahlt werden.

Urteil zur Kündigung bei Minusstunden

Ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 19.05.2021 (4 Sa 423/20) unterstreicht das gültige Rechtsverständnis zum Thema Kündigung und Minusstunden:

„Befinden sich auf dem Arbeitszeitkonto des Arbeitnehmers bei seinem Ausscheiden noch Minusstunden, darf der Arbeitgeber Entgelt hierfür nur kürzen bzw. zurückfordern, wenn dies arbeitsvertraglich vereinbart ist.

Hat der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis außerordentlich gekündigt und haben die Parteien in einem Vergleich Freistellung bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses vereinbart, ist dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zur Einbringung der Minusstunden genommen. Dies geht zulasten des Arbeitgebers.“

Wann sind Minusstunden unzulässig?

Minusstunden sind in folgenden Fällen unzulässig:

  1. Wenn im Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag keine Regelungen zu Minusstunden enthalten sind. Werden trotzdem Minusstunden aufgebaut, handelt es sich um eine Vertragsverletzung, die vom Arbeitgeber sanktioniert werden kann.
  2. Die maximal zulässige Anzahl an Minusstunden im Arbeitszeitkonto wird überschritten. Auch in diesem Fall handelt es sich um einen Verstoß gegen die Vorgaben des Arbeitsvertrags. Eine Abmahnung oder eine Lohnkürzung könnten verhängt werden.
  3. Bei unverschuldeten Fehlzeiten wie Krankheit, Urlaub oder gesetzlichen Feiertagen. In diesen Fällen dürfen dem Arbeitnehmer keine Minusstunden angerechnet werden.
  4. Die Minusstunden wurden nachweislich vom Arbeitgeber verursacht. Typische Beispiele wären eine angeordnete Kurzarbeit oder eine arbeitgeberseitige Freistellung.

Dürfen Arbeitgeber bei Minusstunden das Gehalt kürzen?

Eine Gehaltskürzung aufgrund von Minusstunden ist zulässig, wenn dies vorab im Arbeitsvertrag vereinbart wurde und die Minusstunden nicht auf betriebliche Anordnung zurückzuführen sind. Ansonsten muss Minderarbeit mit Überstunden ausgeglichen werden.

Ist eine Verrechnung von Minusstunden mit Urlaub rechtlich möglich?

Eine Verrechnung von Minusstunden mit Urlaub ist grundsätzlich nicht zulässig. Der Anspruch auf Urlaub dient der Erholung der Arbeitnehmer und kann nicht einseitig vom Arbeitgeber gekürzt werden. Darüber hinaus kann Erholungsurlaub ausschließlich für die Zukunft beantragt werden. Minusstunden können mit Überstunden ausgeglichen werden.