Scheinselbstständigkeit: Definition, Kriterien und Selbsttest
- Was bedeutet Scheinselbstständigkeit?
- Wer prüft eine Scheinselbstständigkeit?
- Wie funktioniert das Statusfeststellungsverfahren?
- Wann liegt eine Scheinselbstständigkeit vor?
- Welche Indizien sprechen für eine Scheinselbstständigkeit?
- Welche Indizien sprechen gegen eine Scheinselbstständigkeit?
- Wen und welche Branchen kann eine Scheinselbstständigkeit verstärkt betreffen?
- Was sind die Folgen einer Scheinselbstständigkeit?
- Selbsttest: Liegt bei mir eine Scheinselbstständigkeit vor?
- Wie vermeidet man das Risiko einer Scheinselbstständigkeit?
Was bedeutet Scheinselbstständigkeit?
Als Scheinselbstständigkeit wird ein Zustand beschrieben, indem ein Unternehmer (meist Freiberufler) auf dem Papier selbstständig ist und entsprechend so bei den Behörden gemeldet ist. In der Praxis jedoch ist die Selbstständigkeit nicht der Fall, da der Selbstständige beispielsweise nur einen Auftraggeber hat. In der Realität ist der angeblich Selbstständige in diesem Szenario ein Arbeitnehmer mit einer klaren Beschäftigung.
Der Hintergrund liegt in der unterschiedlichen Stellung von Selbstständigen und Arbeitnehmern in Bezug auf Sozialversicherungspflichten. Selbstständige sind nicht verpflichtet, Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge zu zahlen. Arbeitnehmer hingegen schon – der Staat geht also, vereinfacht gesprochen, bei einer Scheinselbstständigkeit „leer aus“.
Die Definition der Deutschen Rentenversicherung, die als einer der Leistungsempfänger ein Interesse an der Offenlegung Scheinselbstständiger hat, lautet: : „Als scheinselbstständige Arbeitnehmer werden Personen bezeichnet, die formal wie selbstständig Tätige (Auftragnehmer) auftreten, tatsächlich jedoch abhängig Beschäftigte im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV sind.“
Geregelt ist der Begriff der „abhängig Beschäftigten“, wie ihn die Deutsche Rentenversicherung benutzt, im Sozialgesetzbuch (SGB). Viele Selbstständige wissen teilweise gar nicht um die Problematik, werden von ihren Arbeitgebern jedoch in diese Lage gebracht. Diese wiederum sparen sich ebenfalls die angesprochenen Beiträge, wenn sie jemanden beispielsweise auf Rechnung arbeiten lassen und nicht regulär beschäftigen.
Wer prüft eine Scheinselbstständigkeit?
Zuständig für die Prüfung, ob eine Scheinselbstständigkeit vorliegt oder nicht, ist in fast allen Fällen die Deutsche Rentenversicherung. Sie verschickt regelmäßig an zufällig ausgewählte Selbstständige Fragebögen, die diese ausfüllen müssen. So wird ermittelt, ob alles den Regelungen gemäß SGB entspricht oder ein Verstoß vorliegt.
Wer selbst Bedenken hat, dass beispielsweise ein Arbeitgeber oder Auftraggeber seine Position ausnutzt und Menschen in die Scheinselbstständigkeit drängt, kann sich an die „Clearingstelle“ der Deutschen Rentenversicherung wenden. Diese leitet dann das Statusfeststellungsverfahren ein, bei dem offiziell geprüft wird, ob eine Scheinselbstständigkeit vorliegt.
Zudem haben die Behörden der Zollverwaltung gesteigertes Interesse daran, mögliche Scheinselbstständigkeiten aufzudecken. Diese fallen in den Bereich der Schwarzarbeit, die der Zoll bekämpft.
Wie funktioniert das Statusfeststellungsverfahren?
Kommt es zu einer Prüfung, wird das Statusfeststellungsverfahren eingeleitet. Im Rahmen dieses Verfahrens prüfen die Behörden und Beteiligten in aller Ausführlichkeit, ob Sie als Selbstständiger alle Kriterien für eine gemäß SGB akzeptierte Selbstständigkeit erfüllen oder einer klassischen Beschäftigung im Angestelltenverhältnis nachgehen.
Die in die Bewertung einfließenden Kriterien sind vielfältig und nicht immer kann anhand eines Kriteriums eine eindeutige Bewertung getroffen werden. In diesem Falle obliegt es den Prüfern, weitere Kriterien zu analysieren und eine abschließende Beurteilung zu fällen.
Wann liegt eine Scheinselbstständigkeit vor?
Eine Scheinselbstständigkeit liegt unter folgenden Umständen vor:
- Wer selbst nicht regelmäßig einen Mitarbeiter beschäftigt, der sozialversicherungspflichtig ist, und mehr als 83 Prozent seiner Zeit für einen Auftraggeber tätig ist, dessen Umsätze ebenfalls mindestens 83 Prozent zum Gesamtumsatz beitragen. Diese absolute Grenze wird auch „5/6-Regelung“ genannt.
- Zudem wird geprüft, ob der Selbstständige beispielsweise über seine eigenen Preise im Einkauf und Verkauf entscheidet, eine eigene Betriebsstätte hat, Kunden akquiriert, eigene Arbeitsgeräte einsetzt und seine Arbeitszeit selbst bestimmt. Ist alles nicht der Fall, deutet das auf eine Scheinselbstständigkeit hin.
- Hat der Selbstständige keine Weisungsbefugnis, ist dies ebenfalls ein Indiz für die angebliche Selbstständigkeit. Weisungsbefugnis bedeutet, dass er die volle Kontrolle und Steuerung über seine unternehmerischen Tätigkeiten hat.
Wichtig zu verstehen ist: Nicht automatisch sind Sie scheinselbstständig, wenn eine oder mehrere der Kriterien erfüllt sind. Es kommt stets auf die Gesamtsituation an, die ein Prüfer bewerten muss. Gerade die 5/6-Regelung bietet jedoch eine gute Orientierung.
Ein Beispiel: Sie arbeiten als Freiberufler für ein Unternehmen, das Ihnen monatlich zwischen 4.000 und 5.000 Euro Honorar für laufende Tätigkeiten zahlt. Im Jahr sind es in etwa 50.000 Euro, dazu kommen dutzende kleinere Aufträge, mit denen Sie zusätzlich 10.000 Euro verdienen. Insgesamt kommen Sie also auf 60.000 Euro Umsatz, von dem 5/6 von einem Auftraggeber stammen. Dieses Verhältnis wäre für die Deutsche Rentenversicherung eine Prüfung wert. Da Sie jedoch zahlreiche andere Auftraggeber haben, für die Sie ebenfalls Zeit aufwenden, entkräftet das die Chance, dass Sie als scheinselbstständig eingestuft werden. Es würden dann zur Prüfung weitere Aspekte wie die Weisungsbefugnis herangezogen werden.
Welche Indizien sprechen für eine Scheinselbstständigkeit?
Es gibt einige klare Punkte, die aus Sicht der Behörden dafür sprechen, dass Auftraggeber und Auftragnehmer eher ein festes als unabhängiges Arbeitsverhältnis haben. Dazu zählen insbesondere:
- Nur ein Auftraggeber: Ein Auftragnehmer hat über einen längeren Zeitraum nur einen einzigen Auftraggeber. Dieser zahlt feste Bezüge, die einem Gehalt ähneln.
- Keine eigenen Betriebsmittel: Ein Auftragnehmer arbeitet beispielsweise bei einem seiner Auftraggeber regelmäßig im Büro, nutzt die zur Verfügung stehenden Computer oder Maschinen und hat selbst keine eigenen.
- Keine freien Entscheidungen: Der Auftragnehmer kann keine Aufträge ablehnen oder anderweitige Kunden aufnehmen, da er von einem Auftraggeber in seiner Beschäftigung eingespannt wird. Er ist weisungsgebunden.
Welche Indizien sprechen gegen eine Scheinselbstständigkeit?
Wer regelmäßig einen größeren Kunden bedient, muss sich noch keine Sorgen machen, scheinselbstständig sein. Wichtig ist nur, dass weitere Kriterien erfüllt sind. Folgende Indizien sprechen gegen eine Scheinselbstständigkeit:
- Mehrere Kunden: Ein Auftragnehmer hat mehrere Kunden, keiner von ihnen trägt überproportional stark (vor allem nicht mehr als 5/6) zum Gesamtumsatz bei.
- Eigene Angestellte: Der Auftragnehmer beschäftigt eigene Angestellte, um Aufträge zu erfüllen. Diese Beschäftigten sind dazu verpflichtet, Beiträge an die Sozialversicherung abzugeben.
- Freie Gestaltung aller Formalitäten: Ein einzelner Auftraggeber hat keinen übergeordneten Einfluss auf Arbeitszeiten, Honorare oder die Ortswahl des Auftragnehmers. Dieser entscheidet alles frei.
- Eigener Außenauftritt: Der Auftragnehmer hat einen professionellen, eigenen Außenauftritt. Er schaltet beispielsweise Anzeigen, pflegt Social-Media-Kanäle und nimmt an Veranstaltungen teil.
Wen und welche Branchen kann eine Scheinselbstständigkeit verstärkt betreffen?
Es gibt eine Reihe von Branchen und Arbeitskonstellationen, die anfällig für eine Scheinselbstständigkeit sind. Das Risiko liegt dabei nicht nur beim Auftragnehmer, auch der Auftraggeber mit seiner Unternehmensführung kann Auslöser sein und zur Rechenschaft gezogen werden.
Beide Parteien tragen dafür Sorge, dass keine Scheinselbstständigkeit vorliegt und keine Beiträge der Sozialversicherung „hinterzogen“ werden. Besonders Auftragnehmer und Branchen, in denen Werkverträge üblich sind, sind anfällig.
Arbeitnehmer und Auftragnehmer mit Werkverträgen
Wer als Selbstständiger einen Werkvertrag mit einem Auftragnehmer schließt, sollte auf die Formulierungen und Vorgaben achten, die der Vertrag enthält. Ist dort beispielsweise geregelt, dass Urlaub beantragt oder eine bestimmte Arbeitszeit eingehalten werden muss, sind das bereits Indizien für Scheinselbstständigkeit.
Das Bundesarbeitsgericht zieht zur Abgrenzung von Arbeits- und Werkverträgen einen Kriterienkatalog heran. Zwei Fragen stehen dabei im Zentrum:
- Was ist gefordert – ein bestimmtes Arbeitsergebnis oder eine bestimmte Dienstleistung?
- Gibt es eine Weisungsgebundenheit – oder erbringt der Auftragnehmer in persönlicher Abhängigkeit fremdbestimmte Arbeit?
Die Weisungsgebundenheit ist in vielen Fällen ein entscheidendes Kriterium bei der Bewertung der Scheinselbstständigkeit. Stellen Sie also sicher, dass Sie nicht abhängig sind.
Welche Branchen und Berufe sind anfällig für eine Scheinselbstständigkeit?
Es gibt eine Reihe von Branchen und Berufen, die besonders anfällig für Scheinselbstständigkeiten sind. In vielen rutschen Auftragnehmer in eine Grauzone, ohne es selbst zu bemerken. Das hilft jedoch den Beteiligten im schlimmsten Fall nichts. Die Rechtsprechung zeigt: Unwissenheit schützt vor Strafe nicht.
Besonders betroffene Branchen und Berufsbilder sind.
- Kreative (beispielsweise Texter und Journalisten, Grafikdesigner)
- Transportgewerbe (beispielsweise Spedition, Fahrer, Kuriere)
- Gesundheits- und Pflegewesen (beispielsweise Honorarärzte, Pflegepersonal, Heilberufler)
- Lehrkräfte (beispielsweise Dozenten, Coaches)
- Baubranche, vor allem Handwerker
- Immobilienmakler
- Kurierfahrer
- Programmierer
- Reinigungskräfte
- Berater
Oft ist die Anfälligkeit im Rahmen der Existenzgründung besonders hoch. Zu Beginn einer selbstständigen, freiberuflichen Tätigkeit wird oft die Sicherheit eines großen Kunden gesucht. Das birgt die Gefahr, direkt in die Scheinselbstständigkeit zu rutschen, wenn dann keine weiteren Kunden akquiriert werden.
Was sind die Folgen einer Scheinselbstständigkeit?
Vor allem aus Sicht der Auftragnehmer kann eine durch die Behörden festgestellte Scheinselbstständigkeit massive Auswirkungen haben. Es drohen unter anderem hohe Rückzahlungen an Sozialversicherungsbeiträgen sowie Bußgelder.
Was sind die Folgen einer Scheinselbstständigkeit für den Auftragnehmer?
Wer scheinselbstständig ist, ist sozialversicherungspflichtig. Das gilt jedoch nicht nur ab dem Zeitpunkt der Feststellung der Scheinselbstständigkeit, sondern auch bis zu vier Jahre rückwirkend. Das bedeutet, dass eine Nachzahlung der Beiträge zur Sozialversicherung fällig werden kann. Auch Säumniszuschläge für die Arbeitnehmeranteile zu den Sozialleistungsbeiträgen werden dann fällig und erfordern eine Nachzahlung.
Zudem muss mit Bußgeldern gerechnet werden, sollte vorsätzlich gehandelt werden. Das ist beispielsweise der Fall, wenn Selbstständige sich eine feste Beschäftigung mit dem Wissen suchen, die Beiträge zur Rentenversicherung & Co. so zu umgehen.
Die dritte Folge liegt in der steuerlichen Behandlung des Auftragnehmers respektive Arbeitnehmers. Die Einkommen aus selbstständiger und nicht-selbstständiger Arbeit werden unterschiedlich besteuert. Möglicherweise entsteht also auch aus steuerlicher Sicht eine Nachzahlungsverpflichtung.
Zudem darf der Scheinselbstständige die spezielle Tätigkeit, für die der Verstoß festgestellt wurde, nicht mehr im Rahmen seiner Selbstständigkeit weiterführen. Sie darf nur noch in einem Angestelltenverhältnis ausgeübt werden.
Was sind die Folgen einer Scheinselbstständigkeit für den Arbeitgeber?
Wie auch für den Auftragnehmer / Arbeitnehmer gilt auch für den Auftraggeber / Arbeitgeber, dass er analog zu den Arbeitnehmeranteilen seine Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung nachzahlen muss. Gleiches gilt für versäumte Lohnsteuerzahlungen. Auch hier gilt die Frist von vier Jahren.
Eine Ausnahme bildet die vorsätzliche Handlung. Dann erlischt – sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber – die Frist nicht nach vier, sondern erst nach 30 Jahren.
Selbsttest: Liegt bei mir eine Scheinselbstständigkeit vor?
Anhand des folgenden Selbsttests können Sie feststellen, ob bei Ihnen eine Scheinselbstständigkeit vorliegt. Je mehr Fragen Sie mit klarem „ja“ beantworten können, desto höher die Chance, dass Sie als “abhängig Beschäftigter” eingestuft werden und somit scheinselbstständig sind.
Frage | Bemerkung |
Arbeiten Sie zu mehr als 5/6 ihrer Zeit für einen einzigen Auftraggeber? | Klares Indiz für Scheinselbstständigkeit und festes Beschäftigungsverhältnis in einem Unternehmen |
Erzielen Sie mehr als 5/6 Ihres Umsatzes mit einem einzigen Auftraggeber? | Klares Indiz für Scheinselbstständigkeit und auf eine abhängige Beschäftigung |
Arbeiten Sie regelmäßig für einen Auftraggeber und nutzen dafür dessen Büro und Arbeitsmaterialien? | Klares Indiz für Scheinselbstständigkeit, wenn es der dominante Auftraggeber ist |
Können Sie keine anderen Aufträge mehr annehmen, da ein einzelner Arbeitgeber Sie mit Projekten auslastet? | Muss nicht zwingend ein Indiz sein, über einen kurzen Zeitraum kann das legitim sein |
Können Sie nicht mehr selbst entscheiden, wann Sie was erledigen, und erhalten klare und zu befolgende Anweisungen Ihres Auftraggebers? | Klares Indiz für Scheinselbstständigkeit und eine feste Beschäftigung in einem Unternehmen |
Sind Sie in Prozesse wie die Urlaubsplanung und regelmäßige Teammeetings bei einem einzigen Arbeitgeber eingebunden? | Muss nicht zwingend ein Indiz sein, da bei enger Zusammenarbeit auch zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber Abstimmungen und Urlaubsplanungen erfolgen können |
Erbringen Sie alle Leistungen selbst und beschäftigen keine Mitarbeiter? | Wenn gegenteilig Mitarbeiter beschäftigt werden, ist das ein klares Indiz gegen eine Scheinselbstständigkeit, es liegt in der Regel kein festes Beschäftigungsverhältnis vor |
Erhalten Sie regelmäßige Bezüge eines einzelnen Arbeitnehmers, unabhängig von Ihren in diesem Zeitraum erbrachten Leistungen? | Klares Indiz für Scheinselbstständigkeit, es könnte eine feste Beschäftigung vorliegen |
Können Sie einen Großteil der Fragen – vor allem diejenigen, die als klares Indiz für Scheinselbstständigkeit kategorisiert sind – verneinen, liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit kein festes Arbeitsverhältnis vor.
In der Bewertung gibt es zwar klare Leitlinien und Kriterien, die Statusfeststellung des Beschäftigungsverhältnisses erfolgt jedoch immer individuell.
Wie vermeidet man das Risiko einer Scheinselbstständigkeit?
Um sich gar nicht erst einer Statusfeststellung gegenüberzusehen und in ein festes Arbeitsverhältnis zu rutschen, können Sie die folgenden Tipps beherzigen, um das Risiko einer Scheinselbstständigkeit zu vermeiden:
- Informieren: Sie sind als Auftragnehmer oder Auftraggeber immer dazu verpflichtet, sich zum Thema zu informieren. Im Härtefall schützt Unwissenheit nicht.
- Klare Kommunikation: Machen Sie beispielsweise als Auftragnehmer unmissverständlich klar, dass Sie lediglich für ein bestimmtes Projekt gebucht werden. Prüfen Sie auch Werk- und Dienstverträge.
- Trennung von Arbeitsmitteln und Ort: Lassen Sie aus Sicht des Arbeitgebers Ihren Auftragnehmer mit seinen eigenen Materialien arbeiten.